Morsche Telefon-Masten fallen am toten Schienenstrang

Ort: siehe Bildbeschreibung
Datum: 19. April 1952
Zeitraum: 1946 - 1960

Der Artikel von Kurt Schmidt, illustriert mit 3 Aufnahmen aus seiner damaligen Fotostrecke, erschien in der "Dannenberger Zeitung" am 19. April 1952. Laut Beschriftung der Negativhülle sind die Aufnahmen bereits im März 1952 entstanden.

"Eisenbahn-Nachrichtenanlage nach [in Richtung] Dömitz abmontiert

Dannenberg. Östlich des Ostbahnhofs in Richtung Dömitz rostet der Schienenstrang. Er rostet bereits sieben Jahre. Bis vor einiger Zeit war er noch ein willkommenes Abstellgleis für zerschossene und ausgebrannte Güterwagen, die kilometerweit aneinandergereiht auf Ausbesserung oder Verwertung warteten. In der einsamen Gegend im Dreieck Quickborn - Damnatz - Kaltenhof sind die Spuren des Krieges nur langsam getilgt worden. Im Zuge der erfreulichen Entwicklung ist nun auch der Eisenbahnfriedhpf verschwunden. Doch das tote Gleis, die verwaiste "Reichsstraße 191" und die gesprengten Dömitzer Brücken machen weiterhin den Eindruck eines vergessenen Stückchens Erde und manifestieren deutlich die Zerrissenheit Deutschlands.

Seit einigen Tagen hat sich das Bild der Landschaft weiter verändert. Aus der Ferne ist von der Eisenbahnstrecke nichts mehr zu sehen, weil die für sie so typischen doppelten Telefonmasten von der Bildfläche verschwunden sind. -

Eine Eisenbahnanlage lag brach. Unbenutzt drohte alles zu Verkommen. Die “Pflicht" der Bundesbahn war es, da vorläufig an eine Wiederaufnahme des Verkehrs auf dieser Strecke nicht zu denken ist, noch brauchbares Material sicherzustelien upd vor weiterem Verfall zu retten, um es anderweitig nutzbringend anwenden zu können.

So kam kürzlich der Fernmeldebauzug 101 der Bundesbahn-Direktion Hamburg-Altona mit einer 17 Mann starken Arbeitskolonne nach Dannenberg-Ost, um von hier aus bis zur Dömitzer Eisenbahnbrücke die neben dem verrosteten Schienenstrang stehenden Fernmeldeanlagen zu demontieren. Dabei ergab sich, daß der gesamte Draht im Laufe der Zeit vollkommen unbrauchbar geworden ist. Auch die hölzernen Telefonmasten sind zu 95 Prozent nicht mehr zu verwenden. Die Porzellanisolatoren bilden jedoch einen wertvollen Materialgewinn, da die Neubeschaffung dieser weißen Isolatorenköpfe für die Bundesbahn zur Zeit eine ebenso schwierige wie kostspielige Angelegenheit ist. Nach 1945 wurden den Fernmeldebauzügen ausschließlich amerikanische Glasisolatoren zur Verfügung gestellt, die sich aber für den jn Deutschland üblichen, relativ starken Eisendraht als zu schwach zeigten und leicht sprangen.

Das tote Gleis erwies dem Bauzug seinen Dienst. Das Nachrichtenmaterial und die umgelegten Masten konnten bequem abgefahren werden.

Vielleicht ist es der letzte Zug gewesen, der mit dem geborgenen Draht, Holz und Porzellan über den verrosteten Eisenweg rollte, denn es wird erwogen, auch das Gleis von der Brücke an bis zum Ostbahnhof abzumontieren.

Verwaist liegt die Strecke, über die einst D-Züge rollten; verwaist stehen einsame Schrankenwärter- und Blockstellenhäusehen. An der Weichenstelle Quickborn ist ein Flüchtling in das kleine gelbe Haus eingezogen. Mancher hoffte, daß im Laufe der Zeit ein kleiner Bahnhof oder eine Haltestelle entstehen würde. Doch daran ist kaum zu denken. Seit sieben Jahren hat kein Zug mehr dieses Häuschen passiert, und in Zukunft wird man sich getrost auf dem Bahnkörper schlafen legen können, ohne Gefahr zu laufen, von einem fauchenden Stahlroß zermalmt zu werden.

Seinerzeit auflodernde Bestrebungen, die Eisenbahnbrücke wieder herzustellen und einen Interzonenverkehr über Dömitz zu eröffnen, scheinen im Sande verlaufen zu sein. Friedlich wuchern Gras und Rost auf den Eisenbahnschienen mitten in Deutschland."
Autor/-in:  Kurt  Schmidt (tt)
Quelle:  Torsten  Schoepe
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Abriss • Bauarbeiten • Eisenbahn
Archiv-ID: 62013
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